Miscanthus sinensis ‘Roter Oktober’ – 1992

Not for sale!

Gras, so bekanntlich der große Karl Foerster im Jahre 1957, sei das Haar der Mutter Erde, das die Gärten bisher nur im geschorenen Zustand gefeiert hätten. Dies Urteil, so möchte man meinen, müsse sich seit den Tagen der Pioniertaten des bedeutenden Staudenzüchters und sprachmächtigen Autors von "Der Einzug der Gräser und Farne in die Gärten" längst erledigt haben. Aber auch in diesem Falle ist der Fortschritt noch immer eine Schnecke. Zwar haben herausragende Gartengestaltungen wie etwa die des Münchener Westparks oder des Weinheimer Sichtungsgartens "Hermannshof" - auch in anderer Hinsicht - viel zur Verbreitung der Foersterschen Gedanken beigetragen. Bedeutende Gartengestalter wie Wolfgang Oehme und Van Sweden in den USA oder Piet Oudolf in Holland, der nicht zuletzt auch durch seine einschlägigen Publikationen das Interesse an den Gartengräsern befördert hat, haben vielfach Vorbilder für eine wachsende, professionelle Bereitschaft zur Gräserverwendung geschaffen. Die Zahl der auf Gräser spezialisierten Gärtnereien hat deutlich zugenommen. Pioniere in diesem Bereich waren Ernst Pagels in Deutschland, Kurt Bluehmel in den USA und Knoll Gardens in England.

Aber auch das mittlerweile viel breiter gewordene Gräsersortiment der Staudengärtnereien im Allgemeinen hat ein übriges dazu getan, die Gräserverwendung im Garten heute mit anderen, aufgeschlosseneren Augen sehen zu können.

Gleichwohl scheint die Verwunderung unserer Besucher über die Vielzahl und Verschiedenartigkeit der Gräser in unserem Garten doch eher ein Indiz dafür zu sein, dass zumindest in deutschen Privatgärten flächendeckend die Feier des ungeschorenen Grases leider noch aussteht. Und der Umstand, dass man die zuvor angeführten Beispiele aus dem Bereich der professionellen Gartengestaltung noch immer als herausragend bezeichnen darf, sagt zugleich eine ganze Menge über das aus, was sie überragen. Womit Foersters Prognose, es bleibe den Staudengräsern "in unserem Gartenleben eine Rolle vorbehalten, die noch unabsehbar ist, weil der Einzug der Gräser erst in den allerersten Anfängen steckt" noch immer nicht von der Gegenwart eingeholt, geschweigen denn überholt worden wäre. Angesichts der verbreiteten deutschen (Vor-)Gartenwirklichkeit böte sich ihm vermutlich noch immer genügend Anlass für seinen Ausruf: "Gräßlich - ein Garten ohne Gräser!"

Gräser, so möchten wir aus unserer bescheidenen Erfahrung heraus anmerken, sind die Seele jedes Gartens. Dies sticht insbesondere dort schmerzlich ins Auge, wo ihre luftige und belebende, anschmiegsame und verbindende Erscheinung fehlt. Mit großer Begeisterung widmen wir uns daher seit Jahren den staudigen Gartengäsern, von denen wir eine Vielzahl unterschiedlicher Arten und Sorten aller Größen kultivieren, und hier mit besonderer Aufmerksamkeit den recht stattlichen Sorten der Gattung Miscanthus.

In der Entstehungszeit unseres Zufallssämlings Miscanthus sinensis 'Roter Oktober' wuchsen lediglich zwei Chinaschilfgräser bei uns: 'Yakushima Dwarf', das wir bei Dr. Hans Simon in Marktheidenfeld erstanden hatten, und 'Rotsilber', eine Auslese von Ernst Pagels, der bekanntlich neben vielen eigenen Sorten weiterer Staudengattungen insbesondere mit einer großen Anzahl von Miscanthus-Auslesen hervorgetreten ist. Die Vermutung, unser Kultivar sei aus einer Kreuzung beider Sorten hervorgegangen, stützt sich auf gewisse augenfällige Merkmale von Blatt und Blüte, auch wenn wir hierüber ohne Gen-Analyse letztlich keine Gewissheit erlangen werden.

Obwohl beide Sorten regelmäßig blühten, traten erst nach mehreren Jahren einige wenige spontane Sämlinge auf, deren Entwicklung wir mit Neugier verfolgten. Einer von ihnen zeigte sich bereits im ersten Herbst mit einer exquisiten Blattfärbung von roter, oranger, bisweilen auch ins Purpurrosa hinüberspielender Tönung für soviel Aufmerksamkeit erkenntlich. Seine Leuchtkraft übertraf diejenige des Herbstlaubes einer benachbarten Felsenbirne. Zu seiner prächtigen Herbstfärbung - die, zumeist um den ersten Oktober herum kräftiger werdend und mindestens einen Monat, je nach Witterungsverlauf auch länger, andauernd - zeichnet er sich durch einen aufrechten und standfesten Wuchs, sehr elegant bogig überhängendes Blattwerk sowie langanhaltende, schöne silbrige Blüten- und Samenstände aus. Insbesondere das grazil geschwungene und im leisesten Wind sich wiegende Laub unterscheidet ihn neben seiner Jahr für Jahr verlässlichen Herbstfärbung von den im Handel erhältlichen Purpurascens-Typen wie ‘Flammenmeer’, ‘Roter Pfeil’ usw., deren Blattwerk zumeist in einem Winkel von etwa 45° steif absteht. Nomenklatorisch scheint übrigens noch immer nicht geklärt zu sein, ob es sich bei ‘Miscanthus purpurascens’ tatsächlich um eine eigene Art, einen Kultivar M. sinensis oder eine Hybride zweier Arten handelt - was sich denn auch in der unterschiedlichen Schreibweise des Namens niederschlägt.

Der namhafte Gräserkenner und Gartenautor Rick Darke schreibt in seinem Standartwerk The Color Encyclopedia of Ornamental Grasses über M. ‘Purpurascens’, dieser habe gewöhnlich die zuverlässigste rot-orange Herbstfärbung aller in den Vereinigten Staaten kultivierten Miscanthus. Auch wenn er oft so gelistet werde, gehöre er nicht zu Miscanthus sinensis und sei womöglich eine Hybride mit M. oligostachys. Ironischerweise sei die Herbstfärbung des 1960 durch Hans Simon ausgelesenen Klons in Deutschland nicht verlässlich. In England färbe er sich gut, blühe aber nur selten.

Wir vermuten, dass, neben der zumeist enttäuschenden Rotfärbung, auch ihr struppiger und besonders im Herbst zum Auseinanderfallen neigender Habitus nicht wenig zu der von Darke ebenfalls angemerkten geringen Verbreitung des Kultivars hierzulande beigetragen haben dürfte.

Wie dem auch sei, während vieler Jahre seit Entstehung unseres Kultivars haben wir unter unseren Zufallssämlingen immer wieder vereinzelt auch rotfärbende gefunden, an denen ‘Roter Oktober’ als Elternpflanze beteiligt gewesen sein dürfte. Zumeist trat solche Färbung jedoch nur partiell auf. Gleichwohl haben wir die betreffenden Pflanzen unter verschiedenen Bedingungen (im Schatten, Halbschatten und in der Sonne, jeweils mit viel und wenig Wassergaben) beobachtet, bisweilen über viele Vegetationsperioden hinweg. Die Herbstfärbung war aber entweder unzuverlässig - in einem Jahr stärker, im anderen schwächer - oder es machten sich weitere Mängel bemerkbar, wie unschöne Blüten- und Samenstände, mangelnde Standfestigkeit, dadurch Auseinanderfallen der Horste, oder auch eine nicht sonderlich zierende Blatthaltung.

Von allen großwüchsigen Sämlingen hielt unserer langjährigen kritischen Prüfung jedoch bislang allein unser erster stand: Miscanthus sinensis ‘Roter Oktober’.

Wer übrigens im world wide web auf Suche nach Berichten über und Bildern von Miscanthus sinensis an Naturstandorten geht, wird mit viel Geduld auf eine überraschend magere Ausbeute stoßen. Nur durch Zufall und über Umwege gelangt man beispielsweise zu zwei Fotos, die riesige Bestände im japanischen Fuji-Hakone-Izu-Nationalpark zeigen, auf der entsprechenden Website mit dem allerdings irreführenden Trivialnamen Tall Pampas Grass belegt. Weiterhin stießen wir auf einer Seite der taiwanesischen Nationalparks, die dem Autumn Festival of Silvergrass - dem "herbstlichen Fest der Silbergräser" - gewidmet ist, auf Abbildungen flächendeckender Ausbreitungen von Miscanthus sinensis. Wenn man diese Abbildungen von hunderten, ja tausenden, nahezu gleichermaßen gelb-ockerfarbenen Chinaschilfgräsern in ihrer natürlichen Umgebung sieht, begreift man erst, welche Ausnahmeerscheinung die spektuläre Rotfärbung unseres Kultivars darstellt.

Es wäre sträflich, in diesem Zusammenhang nicht auf die Verdienste der immensen Züchtungsarbeit von Ernst Pagels hinzuweisen, aus der ja eine der vermutlichen Elternpflanzen, ‘Rotsilber’, hervorgegangen ist. Auch der Züchter der mutmaßlich zweiten, ‘Yakushima Dwarf’, Dr. Hans Simon, aus dessen Hand wir seinerzeit ein gerade eben knapp bewurzeltes Exemplar dieses Kultivars erworben hatten, darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Ohne beider Vorarbeit hätte unser ‘Roter Oktober’ niemals entstehen können.

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